Beschreibung des Steines
Der Runenstein ist aus Granit und steht in Tanumshede, gegenüber der Kirche am Ortsende, nur durch die Strasse Riksvägen von der Kirche getrennt. Siehe Bild Runenstein und Autor, Bild 1. Die Höhe des Steines ist 2,35 m. Die Schrift soll etwa um 400 n.Chr. in den Findling gepunzt worden sein.
Als man den Stein im frühen 19.Jh. gefunden hat, wurde er als Steg über einen Bach bei Kalleby benutzt, etwa 5 km südlich vom heutigen Standort.
Meine Frau Elfriede und ich haben uns den Stein im Juli 2011 genauer angesehen, die Runen abgeschrieben und Fotos hergestellt.
Die Runen muss man von der rechten Seite aus lesen, von unten nach oben.
Unter Verwendung von Ausschnittsfotos und eines Vergrösserungsglases hat meine Frau Elfriede die nicht mehr sicherzu erkennden Runen (obwohl früher mit roter Farbe auf dem Stein markiert) auf einem Foto (210×297 mm) akribisch nachgezeichnet. Unser Sohn Helge hat dieses Foto gescannt (oben und unten abgeschnitten). Die Runen waren wiederum kaum noch zu erkennen. Helge ist es gelungen, mit einem Bildbearbeitungsprogramm, die markierten Runenlinien präzise nachzuziehen. Bild 2.
Ein Ausschnitts-Foto, mit den wichtigen Zeichen hinter dem Punkt, wird als Bild 3 vorgestellt.
Man geht allgemein davon aus, dass die Runen im älteren Futhark geschrieben sind.
Älteres Futhark
Die Runenzeichen auf dem Kalleby-Stein entsprechen aber nicht dem Standard-Futhark. Um die Zeichen richtig lesen zu können, muss man erst die Symmetrie-Operationen rückgängig machen, die verschiedene Zeichen mitgemacht haben.
Bisherige Interpretationen des Textes
Es gibt keine allgemein anerkannte Deutung der Schrift.
Vom Nordischen Institut der Universität Kiel wurden 5 verschiedene Interpretationen der Schrift des Kalleby-Steines zusammengestellt.
- þrawijan haitinaʀ was. He was told to yearn [for the grave].
- Þrawingan haitinaʀ was. To Þrawinga [this stone/I] was dedicated.
- Þrawijan haitinaʀ was. To Þrawija (=the yearning one, Freyr) [he] was dedicated.
- Þrawijan haitinaz was[…] Þrawija’s [monument] – [I/He] was commanded/called.
- þrawijan haitinaʀ was. He (=the defiler of the grave) was told to waste away.
Warum gibt es keine Übereinstimmung bei der Deutung ? Es dürfte mit den Symmetrie-Operationen zusammenhängen, die der Runen-Schreiber beim Anfertigen der Schrift bewusst angewendet oder unbewusst erlebt hat.
Symmetrie-Analyse
Bevor die Symmetrie-Operationen der Schrift des Kalleby-Steines analysiert werden, einige Worte zum Begriff Symmetrie.
Die präzise mathematische Definition von Symmetrie ist:
Eine geometrische Figur wird symmetrisch gegenüber bestimmten Operationen genannt, wenn diese Operationen sie unverändert lassen. Man kann auch sagen, eine Figur ist symmetrisch, wenn zwei Beobachter diese Figur von unterschiedlichen Standorten aus beobachten und immer die gleiche Figur erkennen.
Die Symmetrie-Operationen, die bei einfachen geometrischen Figuren – wie den Runen – in Frage kommen, sind z.B. Drehungen, Spiegelungen und Verschiebungen.
Auf den ersten Blick fallen bei der Schrift des Kalleby-Steines die waagerechten Spiegelungen auf.
Die sowilo Rune (s), direkt am oberen Rand des Steins, dürfte um ihre senkrechte Achse gespiegelt sein. Der untere Teil der Rune ist unsicher, weil ein Teil des Steines abgeplatzt ist.
Der Vorgang der waagerechten Spiegelung wird am Beispiel der ansuz-Rune (a), der Vorgang der senkrechten Spiegelung am Beispiel der sowilo Rune (s) anschaulich gemacht.
Drehung der ansuz-Rune(a) um die waagerechte Achse | Dreheung der sowilo-Rune(s) um die senkrechte Achse |
In der Sprache der Runenforscher heissen die waagerecht gespiegelten Runen Sturzrunen, die senkrecht gespiegelten Wenderunen.
Drehung der jera-Rune des Kalleby-Steines um die Senkrechte Achse | Rotation der gedrehten jera-Rune des Kalleby-Steines (siehe linke Darstellung um einen Punkt) |
Um zur Standardform der jera-Rune (j) zu kommen, muss die Rune auf dem Kallebystein zwei Symmetrie-Operationen unterworfen werden. Eine Drehung um die senkrechte Achse und eine Rotation um einen Punkt (um 90° oder 270°).
Das Interessante an den Runen ist, dass eine waagerechte oder senkrechte Spiegelung ihren Lautwert nicht verändert. Diese Art Spiegelungen wurde also von Anfang an als normal angesehen.
(Im Gegensatz zu den lateinischen Buchstaben. Das klassische Beispiel: Die Buchstaben b, d, p, q sind waagerecht und senkrecht symmetrisch zueinander, unterscheiden sich aber phonetisch).
Die viert-letzte Rune ist auf keinen Fall ein (r), sondern ganz sicher ein (z). In den fünf Versionen der Literatur wurde nur einmal (vierte Version) ein z angenommen.
Der Punkt macht deutlich, dass die Zeichen davor einen Namen wiedergeben.
Das interessanteste geometrische Objekt der Runenschrift des Kalleby-Steines
kommt nach diesem Punkt.
Es wird allgemein als haglaz-Rune (h) interpretiert. Aber dieses Objekt hat nicht die Normalform eines . Denn der Querbalken ist nicht schräg und er ist nicht durchgehend. Er bricht kurz vor dem rechten senkrechten Balken ab:
Vermutlich besteht dieses Zeichen in Wirklichkeit aus zwei Zeichen. In Frage kommen die laguz-Rune (l) und die isa-Rune (i), zusammen , aus denen infolge von Symmetrie-Operationen der Schrägstrich des verschoben und gerade wurde, so dass entstehen konnte.
Dadurch konnte der Schreiber gleichzeitig drei Runen in einem einzigen geometrischen Gebilde unterbringen. Denn man konnte die Konstruktion zusätzlich als ein ᚺ lesen, weil sich das Doppel-Zeichen ├ᛁ gleichzeitig mit ᚺ spiegelt, visuell und phonetisch.
Diese Konstruktion ist ein unglaublich schönes Beispiel für vollendete Symmetrie. Die Vollendung wird durch kleine Symmetrie-Brüche verstärkt,
Hat sich hier etwas Kryptisches manifestiert, das anscheinend von Anfang an mit den Runen verbunden war ?
Vielleicht standen die Runen sogar in der Tradition der bronzezeitlichen und eisenzeitlichen Felsbilder, die in Tanum in grosser Vollendung und Schönheit geschaffen wurden.
Die genannten Symmetrie-Analysen ermöglichen eine eigene Deutung
- Text mit Originalrunen.
- Text mit Standard-Runen.
- Text mit lateinischen Buchstaben
Hiernach wäre der vollständige Text auf dem Runenstein von Kalleby
thrawijan •hliaitinazwas
Köbler, 8, hat eine etymologische Deutung der Runenschrift auf dem Kalleby-Stein versucht, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
Zu þrawijan hat er das germanische Wort *þrawjan rekonstruiert ´widerspenstig machen, drohen`. Köbler hat das Punkt-Zeichen nicht berücksichtigt, das dieses Wort vom restlichen Satz trennt und þrawijan als Namen ausweist. Aber vielleicht hat er etwas über die Etymologie des Namens þrawijan herausgefunden.
Als Interpretation wird vorgeschlagen
- þrawijan • Verwandte Frieden Leiden=
- þrawijan • Verwandte Frieden (nach) Leiden
- þrawijan = personal name
- hleyti = relationship, relations
- náð = peace, calm
- vás = sorrow, pain, Mühsal
- Phonetische Symmetrie-Analyse
- hliaiti = hleyiti ?
- naz = náð ?
- was = vás ?
Obwohl es keine genormte Schreibweise gegeben hat, darf man bei den aufgeführten Wortpaaren von phonetischen Symmetrie-Operationen ausgehen.
Runenstein von Röö
In Tanum ist ein zweiter Runenstein gefunden worden. Der Runenstein von Röö. Er soll sich im Staatlichen Historischen Museum in Stockholm befinden. Einige Runen sollen abgesplittert, 60 Runen noch lesbar sein. Südlich der Kirche von Grebbestad soll eine Replik sein. Wir haben sie nicht gefunden. Niemand der von uns Befragten kannte diese Kopie.
Literatur
- Baetke, Walter; Wörterbuch zur altnordischen Prosaliteratur, Akademie-Verlag, Berlin, 2008.
- Grønvik, Ottar; Der Runenstein von Tanum – ein religionsgeschichtliches Denkmal aus urnordischer Zeit. In: Old Norse and Finnish Religions and Cultic Place-Names, Ahlbäck, Tore (Hg.). Stockholm 1990, 273-293.
- Köbler, Gerhard; http:/www.koebler.de/Fontes/Runeninschriften
- Krause, Wolfgang; Runen,78, de Gruyter, Heidelberg, 1993.
- Röhn, Hartmut; Humboldt Universität Berlin, Nordeuropa-Institut, Materialien und Erläuterungen zur Grammatik des Altisländischen, Berlin, 2000.
- Runenprojekt.Uni-Kiel/Kalleby; 2010, Nordisches Institut, Leitung: Marold, Edith